Mit dem Georg-Büchner-Preis erhält die Schriftstellerin Felicitas Hoppe den renommiertesten Literaturpreis Deutschlands. Was bedeutet ihr diese Auszeichnung? Ich habe Felicitas Hoppe in Berlin besucht.
Der Satz fällt beiläufig zwischen vielen anderen in Felicitas Hoppes Küche. „Ich bin keine Büchnerreisende.“ Beinahe geht er unter im wohlüberlegten Redefluss, paddelt mit den Füßen und zappelt zurück an die Oberfläche. Davor sagt Hoppe Sachen wie „der Büchnerpreis, das ist cool“. Oder: „Der Büchnerpreis beflügelt mich. Er blockiert mich überhaupt nicht.“
Im kleinen Glas mit Mineralwasser der Marke „Saskia“ zischt die Kohlensäure. Auf dem nackten Holztisch warten in einem Kerzenkranz noch weiße Kerzenstummel auf noch kältere Frühlingstage als diesen. In der 70 Quadratmeter großen Altbauwohnung in Berlin-Mitte brummt der Kühlschrank sein überall gleich klingendes Kühlschrankbrummen. Ein Apfel liegt in einer Keramikschale auf dem Tisch, daneben ein Textmarker, ein Feuerzeug, Hustenbonbons von „Ricola“ und „Wick“. Berlin-Mitte war ihr Traum: nah am Hauptbahnhof, fünf Minuten entfernt fährt der Flughafenbus. Sie wohnt hier seit 2005. Ohne Grünpflanzen. Ohne Haustiere. „Ich bin zu oft unterwegs“, sagt sie.
Der Wind schiebt Baulärm durchs gekippte Fenster. Vor den Fenstern des Arbeitszimmers wird ein Monstrum von Haus aus dem Boden gestampft. Seit zwei Jahren schon. Um „Hoppe“, ihre Traumbiografie, fertig zu schreiben, ist Hoppe in die Schweiz geflohen. „Zwei Monate, einfach ausradiert“, sagt sie. Jedesmal bei der Steuererklärung stellt sie fest, wie viel sie reist. Manche Monate fehlen ihr. Manche Erinnerungen geraten durcheinander. In Leuk im Kanton Wallis, wo die Straßen angesichts 40 schneebedeckter Viertausender im Zickzack verlaufen, findet sie Ruhe, wenn sie konzentriert arbeiten möchte. Dort schreibt sie sich 2011 zum Büchnerpreis.
Die Architektenzeichnung vom Haus, in dem sie dort wieder und wieder liebt, hängt hinter ihrem Schreibtisch. Gegenüber: eine russische Weltkarte, die sie während ihrer Weltreise auf einem Containerschiff geschenkt bekam. Die Bilder an den weißen Wänden sind die Fixpunkte. Zwischen ihnen am Schreibtisch zu sitzen, das sei genau der richtige Platz, sagt die Schriftstellerin.
Ein inszeniertes „Schöner-Wohnen“-Schickimicki ist Hoppes Zuhause keineswegs. Ihre Wohnung ist puristisch, funktional, protzt nicht mit Möbelkatalog-Hochglanz. Alles, was an den Wänden hängt, in den Regalen steht, erzählt eine Geschichte. Der trockene Lorbeerkranz? „Den habe ich neulich in Hamburg bekommen.“ Der kleine Fernseher? „Wird beim Kochen nebenbei eingeschaltet. Oder in der Badewanne.“ Die Gitte-Haenning-CD? „Haben wir zuletzt bei meiner Büchnerparty gehört.“ Mit 30 Leuten hat Felicitas Hoppe ihren Preis in ihrer Küche gefeiert. Der Raum ist Wohn- und Esszimmer zugleich. Später hat sie sich gefragt, ob sie nicht zu viele Fotos von der Feier per Mail verschickte. Sie erzählt davon so, als sei es ihr unangenehm. Manche ihrer Freunde kennt sie noch aus Schreibseminaren. Was den Erfolg angeht, stünden sie heute auf unterschiedlichen Stufen. Sie hat es geschafft. „Dafür habe ich keine fünf Kinder. Und auch keinen Mann.“ Nach verpassten Chancen oder bereuten Entscheidungen klingt das nicht.
In ihrem roten Kleid sitzt die 51-Jährige am Küchentisch. Ihre Hände knibbeln an den grünweißen Eishockey-Handschuhen herum, die sie auf ihrem Schoß hält. „Die sind doch klasse, oder?“, sagt Hoppe nicht ohne Stolz. Auf ihrem Klavier, das in der Küche steht und gelegentlich Instrument, meist aber Ablage ist, lehnt ein Eishockey-Puck. Signiert von Wayne Gretzky, ihrem Schwarm in der fiktiven Biografie „Hoppe“. An ihrem mit Pflastern verarzteten Macbook zeigt sie Fotos seimer Familie. Anfang des Jahres, als sie in Los Angeles war, hat sie darüber nachgedacht, ob sie bei der US-Hockeylegende nicht klingeln sollte. Immerhin spielt Gretzky in „Hoppe“ eine nicht unwesentliche Rolle. Sie tat es nicht. Es schien ihr absurd. „Absolut faszinierend“ findet Felicitas Hoppe das Familienfoto der Gretzkys: Der Sportler und seine Freu („natürlich ein Model!“) posieren mit ihren vier Kindern. Jeder steht für sich alleine. Keiner lächelt. Das am Hamelner Jägerpfad aufgenommene Familienfoto der Hoppes, aus dem das Covermotiv für „Hoppe“ entstammt, sieht anders aus. Mit Lächeln. Mit Zusammenhalt. Mit Freude in den Gesichtern.
Noch ein Jahr wird es dauern, schätzt sie, ehe sie sich ihren neuen Projekten widmen kann. Ein weiteres Kinderbuch soll folgen. Außerdem „was Kleines“, eine Novelle mit dem Arbeitstitel „Novilla“, die sie in Lion Feuchtwangers „Villa Aurora“ in Los Angeles ausheckte. Dann würde sie sich gern auf die Spuren von Ilja Ilf und Jewgeni Petrow begeben – jener sowjetischen Autoren, die während der Weltwirtschaftskrise die USA bereisten. Hoppe mutmaßt: „Das könnte ein bisschen eine Pigafetta-Geschichte werden“, also ihrem Reiseroman ähneln. Ideen hat sie genug. Nur: „Mir fehlt die Zeit.“ Und jeden Tag ein bisschen schreiben? Nein, das liegt ihr nicht. „Schreiben funktioniert bei mir nicht rauschhaft.“ Manchmal arbeitet sie drei Stunden lang an einer halben Seite Text. Ihr Motto: „Sei schneller als die Zweifel und springe ihnen davon.“
So selbstbewusst wie an ihrem ersten Buch habe sie nie wieder geschrieben, erzählt Hoppe. Sie hat in ihrer bis zur Decke genutzten „Rumpelkammer“ einen alten Kalender griffbereit. Mit blauer Tinte in akkurater Grundschulschrift beschrieben. „Da war ich so sieben“, sagt sie. „Häsi, das Hasenkind“ ist ihre erste fiktive Erzählung. Das unveröffentlichte Debüt eines Kindes. Es geht um die Abenteuer einer Hasenfamilie im Wald. Auch Tagebuch hat sie geschrieben. Aber sie fand es bald langweilig, Chronist ihrer selbst zu sein. „Ich habe schnell die Fiktion entdeckt“, erinnert sie sich.
Vielleicht kann sie auch deswegen mit sozialen Netzwerken wie Facebook nur wenig anfangen. „Ich lebe im paradiesischen Off“, sagt die Schriftstellerin. Und: „Ich bin sehr altmodisch.“ Dabei geht es ihr gar nicht um den Datenschutz-Aspekt. Vielmehr ist es ein Protest. Gegen die Attitüde „Jeder ist etwas Besonderes“.
„Warum ist den Leuten denn Ruhm so wichtig?“, fragt sie, ohne eine Antwort darauf zu finden. Die vielen Facetten der Prominenz betrachtet sie aus der Distanz. Mit Humor. Und mit Argwohn. Es freut sie, wenn ein treuer Leser zur Signierstunde eine Sporttasche mit all ihren Werken schleppt. Es verwundert sie, dass ihr Briefkasten aufgebrochen wurde. Es überrascht sie, von Autogrammjägern obskure Anweisungen zu erhalten („Schicken Sie mir fünf Fotos und unterschrieben Sie hier, aber nicht über die Linie!“). Es verunsichert sie, wenn ältere Damen sie im Restaurant permanent anlächeln. Es strengt sie an, wenn sie für eine Fernsehaufzeichnung fünfmal um einen Baum laufen soll.
Am Vormittag erst hatte sie einen Interviewtermin im ARD-Hauptstadtstudio. Vor wenigen Tagen ein Presse-Abendessen in einem von ihr gewählten Restaurant. Am nächsten Tag einen „Promi-Spaziergang“. „Ich mache jetzt lauter so Dinge“, erzählt Holle. „Dabei habe ich gar keine Hobbys – und schon gar nicht Spazierengehen!“
Demnächst möchte ein Fernsehteam sie nach Hameln begleiten, in ihre Heimatstadt. „Gibt es da eigentlich noch die Eisdiele Miramare?“, erkundigt sich Hoppe. Lang scheint die Liste ihrer Termine zu sein. Allein im Juni wird sie noch in viele Züge steigen und in den „DB mobil“-Magazinen jene Geschichten lesen, die sie so gern liest: von Prominenten, die „trotzdem die Bodenhaftung“ behalten hätten und „ganz sparsam“ geblieben seien, erzählt sie und lacht.
Am Dienstag liest Hoppe in Freiburg, am Mittwoch und Donnerstag ist sie in Hamburg, am Freitag in Nartum, dann in Berlin, Stuttgart, wieder Hamburg, Osnabrück und auf Hiddensee. Eine Büchnerreisende? Die ist sie vielleicht nicht. Aber die kundige und unbeirrte Reiseleiterin der Expeditionen ins Hoppe-Reich. Einer Reise, die nicht nur die Feuilletons antreten. Sondern auch sie selbst.
Hier geht’s zum Artikel. Meine Homestory bei Felicitas Hoppe ist am 9. Juni 2012 in der Deister- und Weserzeitung, Hameln, erschienen.